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Ansprache zur Verleihung des Aachener Friedenspreises in Deutschland 2012

Samstag 8. September 2012, von Comité Cerezo México

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Diese Auszeichnung durch den Aachener Friedenspreis gebührt allen Mitgliedern unseres Menschenrechtskomitees, allen unseren Mitstreitern, allen solidarischen Menschen innerhalb und außerhalb Mexikos. Vor allem aber gebührt er den vielen öffentlich nicht bekannten Menschen, die für den Kampf um die Wahrung der Menschenrechte und für den Aufbau des Friedens in unserem Land leben und dafür Opfer von Bedrohung, Überwachung, Schlägen, Gefangenschaft aus politischen Gründen, von außergerichtlicher Hinrichtung, von gewaltsamem Verschwindenlassen und gewaltsamer Vertreibung werden.

Bevor wir mit einer kurzen Darstellung darüber beginnen, was sich in Sachen Menschenrechte in unserem Lande tut, möchten wir kurz unsere eigene Geschichte erzählen und uns für die Überreichung des Aachener Friedenspreises bedanken.

Vor elf Jahren, im August 2001 wurden wir, das sind die Brüder Alejandro, Héctor und Antonio Cerezo Contreras sowie Pablo Alvarado Flores von der Volksgruppe der Náhuatl in illegaler Weise verhaftet. Wir wurden physisch und psychisch gefoltert und in Hochsicherheitsgefängnissen inhaftiert, in denen die Verletzung der Menschenrechte zum Alltag gehört. Dies alles mit der Begründung, unsere Art zu denken, nicht etwa unsere Taten, stimme mit der dem mexikanischen Staat feindlich gesonnenen Gruppen überein.

Vor elf Jahren also begannen verschiedene Personen, unsere Freunde und Studienkollegen, unsere Geschwister Emiliana und Francisco, mit dem Aufbau der Menschenrechtsorganisation, die wir heute sind: das Komitee Cerezo Mexiko.
Wir haben erreicht, dass Alejandro Cerezo als unschuldig in allen Anklagepunkten aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ferner haben wir trotz der mehr politisch als juristisch begründeten Entscheidung gegen ihre Freilassung immerhin für Pablo Alvarado Flores und Hector und Antonio Cerezo die Verurteilung zu Mindeststrafen erreicht: 5 Jahre bzw. 7 ,5 Jahre Haft.

Das sind inzwischen schon 11 Jahre Kampf um die Verteidigung der Menschenrechte, elf Jahre Kampf gegen die Stigmatisierung der Mitglieder des Komitees, elf Jahre Anzeigenerstattung gegen die Anfeindungen, die Bespitzelung, die Bedrohungen und Aggressionen, denen wir in diesen Jahren ausgesetzt waren, alles nur wegen unseres Einsatzes für die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte.
Wir halten diesen kurzen Rückblick auf unsere Geschichte für notwendig, um auch den Dutzenden von Mitstreitern und Organisationen gerecht zu werden, die sich ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit für unsere Freilassung und die Stärkung unserer Arbeit eingesetzt haben.

Diese Auszeichnung durch den Aachener Friedenspreis gebührt allen Mitgliedern unseres Menschenrechtskomitees, allen unseren Mitstreitern, allen solidarischen Menschen innerhalb und außerhalb Mexikos. Vor allem aber gebührt er den vielen öffentlich nicht bekannten Menschen, die für den Kampf um die Wahrung der Menschenrechte und für den Aufbau des Friedens in unserem Land leben und dafür Opfer von Bedrohung, Überwachung, Schlägen, Gefangenschaft aus politischen Gründen, von außergerichtlicher Hinrichtung, von gewaltsamem Verschwindenlassen und gewaltsamer Vertreibung werden.

Danke all diesen Menschen für ihre Anstrengung und ihre Hingabe, danke für ihr Beispiel, danke für ihr Vertrauen in uns und unsere Arbeit, danke den Internatinalen Friedensbrigaden für ihre unterstützende Begleitung seit Februar 2002. Wir werden diesen unseren Weg weiter gehen, wobei wir uns bewusst sind, dass ein Staat, der seine Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte aufgibt oder sie den ökonomischen und politischen Interessen einer Minderheit der Bevölkerung anpasst, auch fähig ist, seine eigene Verantwortung für mögliche zukünftige Bedrohungen und Angriffe auf uns zu verdecken.

Nach dem oben Gesagten möchte ich Ihnen nun die schwierige Situation schildern, in welcher sich hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte der Bevölkerung allgemein und insbesondere der Menschenrechtsverteidiger sowie unsere eigene Arbeit in diesem Zusammenhang befinden.

Aus der Pespektive vieler Leute und Organisationen, vorwiegend außerhalb Mexikos, lebten wir in unserem Land in Frieden, bevor die Regierung Felipe Calderón Hinojosa im Dezember 2006 dem Drogenhandel und der organisierten Kriminalität den Kampf ansagte. Infolge dieser Kriegserklärung kam es zu einem massiven Einsatz von Heer und Marine auf den Straßen, um dort polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen. Dies geschah im ganzen Land, vor alllem aber in bestimmten Bundesstaaten wie Michoacán, Chihuahua, Tamaulipas, Guerrero, Sinaloa. Schätzungsweise mehr als 50 Tausend Elemente der mexikanischen Streitkräfte sind an diesen Operationen beteiligt.

Unser ganzes Land ist von Kontrollposten der bewaffneten Streitkräfte überzogen,
überall begegnet man Streifen von maskierten Soldaten, Marineangehörigen oder Polizei und mit auf die Personen, die ihnen begegnen, gerichteter Waffe. Als für diese Zustände sensible Menschen sehen wir heute mit Schrecken diese Zahlen: etwa 70 Tausend Tote, zwischen 3 und 10 Tausend Verschwundene, mehr als Tausend in den bewaffneten Konflikten oder in Kontrollposten des Bundesheeres umgekommene Kinder sowie mehr als 250 Tausend gewaltsam Vertriebene. Wir alle sehen mit Horror die verstümmelten Leichen, an Brücken aufgehängt, in Massengräbern verscharrt, hingeworfen vor Schulen und Krankenhäusern. Und wir alle fragen uns: Wie sind wir dahin gekommen?

Es gibt indes noch einen anderen Aspekt dieser durch Gewalt und Schrecken geprägten Realität, den man gern unterschlägt und allgemein nicht als “Krieg” versteht und den man oft unterschätzt: In Mexiko gab es schon lange vor 2006 Armut, Elend und eine extrem ungleiche Verteilung des Reichtums des Landes, und diese Zustände haben sich in den letzten Jahren verschärft. Mexiko hat etwa 113 Mio. Einwohner. Gemäß dem Nationalen Rat für soziale Entwicklung (CONEVAL) leben etwas mehr als 90 Mio unserer Mitbürger in Armut und sozialem Elend Verdiente nicht diese wachsende Ungleichheit einen ebenso entschiedenen Einsatz des mexikanischen Staates wie der zur Bekämpfung der Kriminalität? Könnten wir angesichts dieser sozialen Schieflage wirklich behaupten, dass vor 2006 in unserem Land Frieden herrschte?

In einem Land, in dem der großen Mehrheit der Bevölkerung die Möglichkeit eines würdigen Lebens fehlt, muss man für den Frieden kämpfen und sich für die Befriedigung der Menschenrechte für alle Menschen organisieren oder diejenigen unterstützen, die sich für dieses Ziel zusammenschließen.

Nach unserer Ansicht ist es ein Riesenproblem, wie sich der mexikanische Staat angesichts dieser zweifachen Gewalt, die wir erleiden, seiner Verantwortung für die systematische Verletzung der Menschenrechte für 90 Mio Mexikaner zu entziehen versucht. Und zwar aufgrund eines Wirtschaftssystems, das darauf beruht, gegen den größten Teil der Bevölkerung Krieg zu führen, die Ungleichheit zu vertiefen und das auch noch mit seiner Propaganda im In- und Ausland als angeblich erfolgreichen Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu verkaufen. Aber nicht nur das: mit diesem Argument hat der mexikanische Staat auf legale Weise für den Teil der Bevölkerung, der sich seiner Wirtschaftspolitik widersetzt, die Rechte auf sozialen Protest, das Organisations- und Demonstrationsrecht, das Recht der freien Meinungsäußerung sowie das Recht auf Verteidigung des eigenen Grundes und Bodens eingeschränkt.

Das Perverseste an dieser Strategie aber ist der sie rechtfertigende Diskurs: Man hat sich einen internen Feind geschaffen, den es zu vernichten gilt: nämlich das “Organisierte Verbrechen” - und dies kann überall und jeder Zeit auf jeden Bürger zutreffen. Um diesen inneren Feind zu bekämpfen, hat man Sondergesetze geschaffen, welche unsere eigene Verfassung ebenso verletzen wie den internationalen Codex der Menschenrechte. Das “Bundesgesetz gegen die organisierte Kriminalität” und das “Gesetz der Nationalen Sicherheit” sind zu legalen Instrumenten zur Unterdrückung der sich organisierenden Bevölkerung geworden.

Unsere Dokumentation der schweren Menschenrechtsverletzungen seitens des Staates und die Anzeigen gegen die dafür Verantwortlichen und durch die Aufdeckung seiner Kriegsstrategie gegen die Gesellschaft sowie die anderen Initiativen mgeleistete Unterstützung ist die Bedrohungslage für unser Komitee CEREZO selbst gestiegen. Im November 2011 wurden wir, die Mitglieder unserer Organisation, erneut Opfer einer Todesdrohung, obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission seit 2002 schon für Emiliana und Francisco Cerezo Contreras Schutzmaßnahmen angeboten hatte und diese 2006 erneuerte und sie auf Alejandro Cerezo ausweitete. Die damalige Drohung galt den ganzen Familien unserer Mitglieder einschließlich einem Kleinkind von damals gerade 2 Jahren.

Im Zusammenhang mit dem soeben Ausgeführten ist das Komitee Cerezo Mexiko vor zwei Jahren zu dem Schluss gekommen, dass in unserem Kampf für Frieden in unserem Land, für unsere Informations- und Bildungsarbeit in Sachen Menschenrechte das Mühen um Erinnerung, um Wahrheit und damit um die ganzheitliche Heilung der (gesellschaftlichen) Schäden von zentraler Bedeutung ist. Diese Prinzipien stellen also die zentrale Achse in der Bildungsarbeit unserer beiden Menscherechtsschulen dar, ebenso in den drei Schulen für Volks-Erzieher und in all den Workshops, die wir durchführen, im Schnitt 50 in den letzten drei Jahren. Das sind unsere Beiträge zum Frieden in unserem Land.

Zum Schluss möchten wir vor allem folgendes betonen: In einem Land in Armut und Ungleichheit kann es keinen Frieden geben. Frieden kann es nicht geben ohne Erinnern, ohne Wahrheit, ohne Gerechtigkeit. Frieden kann es nicht geben ohne ganzheitliche Wiederherstellung (des Rechtes) mit dem Abbau der legalen und illegalen Mechanismen der systematischen Menschenrechtsverletzungen. Wo Straflosigkeit herrscht, kann es keinen Frieden geben. Frieden kann es nicht geben, wo der Staat Mexiko die schrecklichen Zahlen der Gewaltakte gegen Menschenrechtsverteidiger verheimlicht, die bedroht, zusammengeschlagen, illegal überwacht und eingekerkert, wo sie in den letzten Jahren außergerichtlich exekutiert oder verschwinden gelassen werden.

Vielen Dank also den Organisationen und Menschen des deutschen Volkes, die uns mit diesem Preis ehren! Wir wünschen uns, die Solidarität zwischen uns möge blühen und dazu beitragen, an einer Welt zu bauen, in der die volle Ausübung der Menschenrechte garantiert ist – das ist nämlich die unverzichtbare Grundlage zum Bau des Friedens und der Sicherheit für die Menschheit.

Comité Cerezo México y Alejandro Cerezo Contreras.
(Übersetzung: Norbert Klüppel)

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